Ulla Steuernagel, Schwäbisches Tagblatt, 09.09.2011Birgit Dehn malt altmeisterlich, sehr akribisch und sehr realistisch. Doch ihre Motive sind so unaltmeisterlich, dass allein schon dieser Gegensatz zum Lachen reizt. Und wer erst auf die Absurdität aufmerksam geworden ist, die in dieser speziellen Polarität aus Plüsch und Gewalt steckt, ist schnell von Dehns Kunst überzeugt.
Es kamen einmal ein Mann und eine Frau zu Birgit Dehn und brachten zwei Plüschtiere mit. Die Künstlerin sollten sie malen, und die Beiden baten sie inbrünstig: „Aber tu ihnen nichts!“ Wenn man Birgit Dehn anschaut, glaubt man nicht, dass sie eine von denen ist, die Plüschtieren etwas tun. Aber der Eindruck täuscht: Sie ist eine von denen!
Ihr Atelier in der Paul-Ehrlich-Straße im ehemaligen Astronomischen Institut hängt voller Beweise dafür. So packt sie ein wehrloses Schweinchen supermarktgerecht unter Folie, sie hängt einen Teddy an den Ohren auf oder steckt ihn in die Waschmaschine. Sie klemmt einen Plüschaffen unter einen Radgepäckträger. Und sie bringt die unschuldigen Tiere mit den schlimmsten aller Monster zusammen: mit Kindern. Da liegt der Teddy wie ein Fußball vor dem monströsen Bein einer Dreijährigen, der eingeklemmte Affe ist einem anderen Kind wie eine Geisel ausgeliefert. Die Faust des Kindes, die den Fahrradlenker umfasst, scheint auch das Äffchen herrisch niederzudrücken. Die Motive könnten harmlos sein, aber da ist etwas im Auge der Künstlerin, was die Szenen beherzt der Wirklichkeit entreißt und die ihnen innewohnende und verblüffende Brutalität freisetzt.
Die 44-jährige Künstlerin malt hyperrealistisch und mit Acrylfarben, weil die keine Kopfschmerzen machen und zu den poppigen Motiven passen. Dehn will ihren Gegenständen keinen individuellen Strich aufzwingen. „Ein eigener Pinselduktus – das passt gar nicht!“ Während sich also die meisten anderen Schüler an der Nürtinger Kunstakademie, wo sie zwischen 2001 und 2005 studierte, um expressiven Ausdruck bemühten, arbeitete Dehn diszipliniert, detailgetreu und perfektionistisch.
Es wundert nicht, wenn man vom Neben- oder Brotberuf der in Lustnau lebenden Malerin hört: Sie beschäftigt sich als Physikalisch-technische Assistentin mit Elektronenmikroskopen. „Ich könnte nicht nur im Atelier arbeiten“, sagt sie. Andererseits scheinen sich ihre beiden Tätigkeiten gut zu ergänzen, das elektronische Auge ist die Fortsetzung des künstlerischen, beides um äußerste Exaktheit und Nähe bemüht.
Auch im künstlerischen Bereich geht es Dehn um Material und Oberflächenstrukturen. Plüschtiere bieten sich da an – keine perfekten neuen allerdings, sondern abgeliebte und benutzte. Dinge, die mit Gefühlen aufgeladen sind und menschlich wirken, aber dennoch Ding bleiben. Das geht bis hin zur Porreestange oder zur Weihnachtskugel. „Ich habe noch keine Menschen abgebildet oder,“ so setzt Dehn hinzu, „für meine Zwecke benutzt.“
Dehn, übrigens eine Anhängerin des Aktionskünstlers und Minuten-Skulpuristen Erwin Wurm, ist zugleich auch Regisseurin. „Ich habe mir eine kleine Fliesenbühne gebaut und darauf lege ich die Akteure“, sagt sie. Vor klinisch reinem Hintergrund brezelt sich die Porreestange in senkrechter Imponierhaltung mit Lockenwickeln auf, sie scheint Augen zu haben. Ein Spiegelei liegt lasziv wie eine Balletttänzerin in einem Eierschneider. Ein Salatkopf schützt sich mit Duschhaube gegen den Wasserstrahl. Limetten stehen Schlange vor einer Niveadose, deren Inhalt die „Orangenhaut“ verschwinden lässt.
Solche Beschreibungen werden den Bildern nur zum Teil gerecht. Man könnte annehmen, es handle sich um gemalte Witze. Ein Blick, ein Lacher und weiter. Eben das will die Malerin nicht: „Trotz der realistischen Darstellung sollte ein Freiraum bleiben.“ Und es gelingt ihr auch in ihren Bildern den Betrachter zu einem zweiten Blick zu verleiten und die Anmut und Tragik selbst in Küchengegenständen und Speisen zu erkennen. Dabei sind die Bilder voller Gewaltdrohungen:
„Ich will doch nur Dein Bestes“ heißt eine Serie, die entwaffnend ästhetisch daherkommt.
An Ideen fehlt es der Künstlerin nie: „Ich habe immer einige auf Vorrat.“ Aber manche verwirft sie auch, weil ihr die Umsetzung zu platt erschiene. Ideen fliegen ihr überall zu, zum Beispiel beim Joggen, „wenn ich über eine Nacktschnecke stolpere“.
An einer
Porträtserie arbeitet Dehn schon lange. Tiere schauen einen unverwandt und majestätisch an. Dehn arrangiert sie vor einer Gefühlstapete. Die Katze ist von weißen Zuckermäusen umringt. Dem Esel droht der „Karriereknick“ (so der Bildtitel) in Form von Salamischeiben. Um „Jeannette die Superkuh“ schweben Kronen. Mit dieser Serie erregte Dehn soeben in der großen „Tierisch“-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst Aufsehen. Erst vor ein paar Tagen ging die Schau zuende.
Dehn, die schon eine Reihe von Einzelausstellungen hatte, kann derzeit über Aufträge nicht klagen. Zur Tierporträtistin will sie allerdings nicht werden. Schon hat sie wieder neue Sujets entdeckt, die sie detailgenau nach Fotos und mit Materialschnipseln als Malhilfe inszeniert.
Ihre Plüschtier-Phase lebt jedoch immer wieder auf. Etwa in der
„Wa(h)re Liebe“-Serie, in der sie die Kuschelhelfer hinter Folien packt. Die Plüschtiere des Paares, das um schonende Behandlung bat, steckte Dehn übrigens freundlicherweise nur in Bonbongläser.
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